Vom ersten Tag an hatte ich Pipi-Probleme. Kennt Ihr das, wenn es brennt und man dauernd muss??

 

Meine neue Trulla war schon wöchentlich mit mir beim Tierarzt. So kleine weisse Kügelchen schluckte ich permanent. Schmeckt sooo lecker mit Leberwurst! Lustig war es auch, wie Trulla mir dauernd mit dem Suppenschöpflöffel hinterher rannte um zu sammeln, was ich so von mir gab.

Muss 'ne richtige Meisterleistung von mir gewesen sein! Immer gab sie das Gesammelte in ein Becherchen und schenkte es dann dem Tierarzt. Lustig, was das neue Rudel so macht!

 

Plötzlich war es dann aber vorbei mit Leberwurst & Co.

Mein Speiseplan sah auch ganz anders aus. Keine schönen Leckerli mehr. Immer nur die gleichen... Diät Leckerlis hiessen die. Und meine leckere Welpi-Nahrung war plötzlich auch super eintönig!

 

Dafür hörte das ewige Pipimachen auf. Und als das nächste Becherchen-Geschenk zum Tierarzt kam, haben sich alle gefreut, da ich anscheinend keine so schönen Diamanten mehr drin hatte. Kalzium Oxalate nannten sie das.

 

Nun durfte ich auch geimpft werden.

 

Der kleine Pieks war fast nicht spürbar. Hah - war das etwa alles? Warum wollten denn die anderen Hunde hier draussen gar nicht rein? Verstehe ich nicht. Ich bekomme hier immer Leckerli auf dem Tisch und werde ganz toll massiert. Was macht da so ein kleiner Pieks? Gut gings mir auf  dem Tisch! Trulla und die Tierärztin quatschten noch und passten nebenbei auf, dass ich nicht vom Tisch kletterte.

 

Doch - au! Was war das?? Ein stechender Schmerz im Rücken. Aaaaaua! Das konnten die doch nicht machen! Was war das?? Weg damit: Schnell biss ich mal feste in Trullas Jacke.

 

Als ich meine kleinen Zähnchen wieder aus der Jacke lockerte, setzte sie mich mit festem Griff auf den Boden.

 

Nochmal zwickte es so im Rücken. Aaaauuuuu! 

Ich biss in das, was neben mir war. Trullas Hose.

 

Die schob mich ziemlich unsanft weg. Der Schmerz blieb und ich versuchte mit meinem Hinterpfötchen in der Luft zu kratzen um ihn weg zu bekommen. Während dem Laufen. Immer wieder. Und verzog mich ins letzte Eck, denn Trulla guckte so komisch und beratschlagte irgendetwas mit "sofort in die Hundeschule", "noch nie solch ein Verhalten gesehen", "Gehirntumor", "extrem ungewöhnlich" und was weiss ich was. Dann gingen wir.

 

Da Wochenende war, hat man Trulla sogar mit der Tierklinik Telefonnummer bewaffnet. Für den Fall, dass etwas Gravierendes passieren sollte. Gehirntumor sagten sie. Am nächsten Tag rief sogar die Tierärztin nochmal an, ob alles in Ordnung ist mit mir? So etwas hätte sie noch nie gesehen.

 

Dann kamen komische und schwierige Wochen für mich. Nachdem das so weh getan hatte, als Trulla und andere neben/über mir waren, war ich überzeugt, dass es die Rudeltiere sind, die das tun. Oder dass es zumindest etwas mit diesen zu tun hat.

 

Und das Rudel wurde komisch: Die kleine Trulla bekam erst mal Spielverbot mit mir und war entsetzlich traurig. Wenn andere Kinder zum Spielen kamen, schirmte die grosse Trulla mich komplett ab. Manchmal, wenn sie mich hochheben wollte, musste ich an den Schmerz denken (oder hatte ihn?) und verteidigte mich mit allem was ich hatte. Dies passierte sogar manchmal während dem Streicheln. Oder beim Anleinen. Dann nannten sie mich "Schnappi". Keiner traute mir mehr so richtig.

 

Trulla ging mit mir zu einem Verhaltenstherapeuten. Das Rudel jedenfalls ging von da an ganz anders mit mir um: Ich durfte nicht mehr als erste zur Haustür rein, ich durfte (musste?) nicht mehr auf den Arm usw. Man zeigte mir mit dem ganzen Verhalten, dass ICH nichts bin als ein kleines Hündchen und niemand ausser meinem Rudel die Hosen anhat.

In der Praxis hatte ich Einzel-Coaching und ich habe mich ganz arg angestrengt! Manchmal war ich aber auch so müde. Einmal bin ich während dem Warten einfach in Trullas Handtasche gekrochen und dort eingeschlafen! Anfangs wusste die Weisskittel-Tierarzt-Psychologin gar nicht, was sie therapieren soll! Sie dachte, Trulla übertreibt und sei halt' eine Blondine, die vielleicht selbst auf die Couch sollte. Könnte nicht einschätzen, wann ich müde sei oder so. Manchmal wollte ich Trulla schon verteidigen.

 

Ich war sooooooo niedlich, dass irgendwann auch Frau Therapeutin mich (entgegen all ihrer Regeln) auf den Schoss nahm und dort streichelte und knuddelte, während Sie meinem Frauchen einen Vortrag hielt. Und währendessen war er plötzlich wieder da der Schmerz - oder die Erinnerung daran. Und das zeigte ich Frau Doktor dann auch ganz deutlich: Ich wurde "Schnappi".

 

Nun war also auch Frau Therapeutin überzeugt, dass ich ein enorm schwieriges Hündchen war. Sie sagte, dass es auch für sie schwierig sei, das Verhalten einzuordnen und sei sich nicht sicher, bei solch einer eigenartigen Reaktion immer richtig zu reagieren. Und es vielleicht nicht ganz dumm wäre, sie wieder her zu geben.

 

Mein Züchter bot auch gleich an, mich wieder zurück zu nehmen. Wollte er die Familie oder mich schützen? Ich glaube eher mich... Ich hörte, wie Trulla und das Restrudel ernsthaft darüber diskutierten. Oft. Sehr oft. Denn gerade die kleine Trulla sollte doch keine Angst vor Hunden (mir!) bekommen und es durfte nichts passieren.

Aber ich war doch gar nicht böse! Verstandet Ihr das nicht? Und ich gehörte doch jetzt dazu!!! Oder nicht??

 

Dann die Entscheidung: In guten wie in schlechten Zeiten, sagte mein Rudel.

 

Es gibt so ein schönes Buch vom kleinen Prinzen sagten sie: "Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast." 

So einfach gibt man nicht auf. Manchmal ist das Leben so. Und wenn man sich entschieden hat, ein Tier zu sich zu nehmen, geht abschieben gar nicht...

 

Finde ich auch! Hapüh. Und alles wurde gut - daheim, in unserer Höhle, meine ich.

 

Ich gewann mein Rudel sehr, sehr lieb in den nächsten Wochen und würde sie heute NIE mehr angreifen. Ich weiss doch jetzt, dass dieser komische Schmerz nichts mit ihnen zu tun hat. Kam er doch dann auch immer wieder ohne dass jemand über mir stand, auch wenn ich ganz alleine war.

 

Aber verlassen tu' ich mich auf niemanden. Nur auf mich selbst!! Vor allem wenn es schwierig wird. Dann mache ich dicht und haue einfach ab. Vor allem, wenn ein Hund kommt...

 

So dachte (und denke) ich. Doch mein Frauchen denkt (und dachte) anders, wollte etwas ändern und erwies sich als Dickkopf! Uff. Es dauerte lang, bis sie aufgab. Eigentlich erst, seit alle wissen, dass ich so sehr krank bin. Aber davon später.

 

Sie nahm mich also aus der grossen Welpengruppe raus und ging mit mir in eine, wo ich nur einen einzigen kleinen Spielkameraden hatte. Beim zweiten Mal fand ich das eigentlich sehr lustig und entspannte mich.

 

Dann - obwohl mittlerweile schon Junghund - durfte ich sogar weiterhin bei den Welpen bleiben. Und fing an, mich richtig wohl zu fühlen. Ich wurde sogar ein bisschen frech zu den anderen. Wir alle freuten uns so sehr, dass ich nun ein normales Hündchen wurde!

 

Insgesamt schien jetzt, nach 4 Monaten, die Welt rund und schön geworden. Und keiner nannte mich auch je wieder Schnappi!

 

 

 

Doch plötzlich bekam ich sooo grosse Angst. Von einem Tag auf den anderen. Vor der Welt.

 

Kann der Himmel kleinen Hunden eigentlich auf den Kopf fallen? Kommen Geister aus dem Erdboden? Ist Luft giftig? Meistens kommt ein Angriff auch von hinten, das wisst Ihr doch hoffentlich auch, oder?????!

 

Gassi gehen wurde zum Alptraum! Wenn ich einen Hund in der Ferne sah, rannte ich an meiner Langlaufleine so schnell zurück, dass ich mich im Geschirr fast überschlug. Trulla lernte schnell mir den Weg abzuschneiden, so dass dies nicht mehr passierte und ich mir kein Schleudertrauma zuzog. Generell aber halte ich es für angemessen, auf jedem Weg ausserhalb der Höhle alle zwei Meter wie angewurzelt stehen zu bleiben und nachzusehen, was hinter mir kommt. Freiwillig verliess ich mein Revier überhaupt nicht mehr! Welpenstunde war auch gruslig. Ich bin überzeugt, es gibt Gespenster!!!

 

Von nun an ging ich mit meinem Personal Coach und Trulla alleine spazieren. Trulla las noch mehr, dauernd bewegte sich irgend ein anderer Hund auf dem Bilderrahmen, den sie Fernseher nennen. Für mich wurde es dadurch nicht besser. Vom "Kaspar-Hauser-Syndrom" war die Rede. Von zu wenig Reizen während der Prägephase beim Züchter, von bösen Erfahrungen, welche ich gemacht haben MUSS.

 

Heinz und Trulla versuchten mir zu helfen, indem sie wochenlang mit mir nur "bis zur Parkbank" wollten, 300 m entfernt. Ganz in MEINEM Tempo. Nach 45 Minuten waren wir dort immer noch nicht angekommen. Aber zurück ging's dafür ganz schnell!! Der Vorteil für Trulla lag ganz klar in der neuen Nachbarschaftsbeziehung. Trulla freundete sich mit allen auf der Strasse an - sie hatte ja jetzt Zeit mit mir beim rumstehen! Und Erklärungsbedarf...

 

Es brachte nicht viel. So wechselten sie Coach und Trainingsmethode. Sie versuchten nun, mein Vertrauen in die Rudelführung zu stärken und mich selbstbewusst voranschreitend einfach mitzunehmen. Auch nicht gut - fand ich.  Es tat wohl nicht weh im Geschirr, aber das Hinterherziehen war total unwitzig. Fanden auch andere Leute und Trulla musste sich manchen "Ratschlag" oder sogar Beschimpfung anhören.

Und so sicher Trulla auch ist, dass der Himmel nicht auf mich fällt - ich bin es nicht! Die Geister sind überall! Nach 3 Monaten hatte Trulla dies dann endlich eingesehen und das Ganze selbstbewusste Getue hatte ein Ende. Dies war dann auch kurz bevor uns manche Leute lynchten, da Trulla mich so selbstbewusst mitnahm und dabei nur nach vorne blickte.

 

Trulla war es dann egal, ob sie sich lächerlich machte. Eine Lösung musste her! Sie entschied sich für einen bekannten Fernseh-Trainer! Und war bereit, den Clown für andere zu spielen, ganz nach dem Motto ": Wenn's schön macht". Aber mit meinem Fernsehauftritt wurde es dann nix.

 

Der neue Hundetrainer hatte die Idee, dass Trulla immer überall erst "sichern" muss, so wie es eine Wölfin auch machen würde. Erst den Kopf zur Haustür rausstrecken und links und rechts um die Ecke schauen, ob alles klar ist, danach erst das kleine Hündchen in die sichere Umgebung lassen (haha! Lassen ist gut! Ohne ziehen verliess ich das Haus nicht!), während des Spazierengehens sollte Trulla immer wieder nach hinten "sichern", damit nicht ich das Gefühl hatte, dies tun zu müssen. Die Trulla kam sich als James Bond saublöd vor und hatte schon Angst, dass die ganze Nachbarschaft Spass hat. Sie machte aber alles ganz brav. Wie unter Verfolgungswahn leidend, sagte sie immer.

 

Aber ich fühlte mich dadurch auch nicht sicherer. Sieht denn hier niemand, was so von oben kommen kann? Oder von hinten? Begreift keiner, dass dies nichts mit Geräuschen oder Personen zu tun hat??? Dass die Gefahr unsichtbar ist?

Aber zum "Sicherheit-Schaffen-Plan" gehörte auch, dass ich von da an bei Trulla neben dem Bett schlafen durfte. Das war neu. Und das ist schön, sage ich Euch!

 

Nach ein paar Stunden Einzelstunden-Training mit dem neuen Hundetrainer, kam dieser auf die Idee, mich mal zum Osteopathen zu bringen, da ich mich nicht nur so komisch verhalte sondern auch gar nicht rennen will und manchmal seltsam gehe.

 

Dies wurde sofort in die Tat umgesetzt. Frau Osteopathin stellte starke Verspannungen fest und riet, mich zum Neurologen zu bringen, wenn keine Besserung eintritt. So war es dann auch.

 

So um meinen 1. Geburtstag herum wurde ich dann wirklich erwachsen. Wenn das bedeutet, dass der Ernst des Lebens beginnt...